Was zum Teufel!?

B.M.AY

 

„Maske weg!“ kommandierte Ahmet aufgeräumt, als sie an einem der Frühstückstische im Café Bauswein Platz genommen hatten.

„Jawoll Herr Major“, antwortete Horst belustigt und legte seinen FFP2-Mundschutz rechts neben seinen Teller.

„Horst“, sagte Ahmet gedehnt. „Komm zu mich, ich lern dir Deutsch!“

„Wie bitte?“ fragte Horst irritiert.

„Na, ich sagte weg und ich meinte auch weg“, antwortete Ahmet lachend. „Ich möchte diese Pandemie möglichst oft ausblenden können. Mit Maske auf dem Tisch geht das genauso wenig wie mit Maske im Gesicht.“

Horst verstaute das Vliesteil in der Innentasche seiner Jacke und bestellte ihr Frühstück bei der einzigen Kellnerin in Raum. Vor Corona hatte es hier im Café vor Menschen nur so gewimmelt, sieben Tage die Woche, am Frühstücksbuffet ab neun Uhr. Heute war die Anzahl der Gäste sehr überschaubar, Genesene, Geimpfte und Getestete mit gehörigem Abstand unter sich.

Vor zwei Wochen hatten sie bei Horst in der Küche beschlossen nach langer Zeit wieder einmal auswärts zu frühstücken. Horst hatte sofort reserviert und nun saßen sie tatsächlich hier und ließen sich mit gut gefüllten Bäuchen ihren zweiten Humpen Kaffee bringen.

Ahmet strich sich, rundum zufrieden, über den Ranzen. „Ich bin richtig froh wieder einmal hier zu sein. Wer weiß wie lange das noch geht. Die Zahl der Neuinfektionen steigt schon wieder exponentiell“, sagte er.

Horst starrte lange, schweigsam und mit gerunzelter Stirn auf die leere Mitte des Tischs. „Hast du eine Vorstellung davon, was in Menschen vorgehen muss, damit sie sich außen an eine startende Maschine klammern?“ fragte er unvermittelt.

„Nein“, antwortete Ahmet tonlos. „Und ich mag mir auch nicht vorstellen was in ihnen vorgegangen ist, als ihnen klar wurde, dass sie von dort in den Tod stürzen würden. “

„Was zum Teufel?“ murmelte Horst.

„Hat der Westen da in den letzten 20 Jahren angerichtet,“ ergänzte Ahmet. „Und wer zum Teufel muss das jetzt auslöffeln?“

„Fragen, immer nur Fragen!“ rief Horst ungeduldig. „Wie wäre es mal mit Antworten, gescheiten, aufrichtigen, zielführenden Antworten.“

 

„Zielführend für wen?“ fragte Ahmet und lachte bitter. „Als die Amerikaner im Herbst 2001 mit ihren Alliierten in Afghanistan einfielen, war ich mit meiner Frau in einem Hotel in der Türkei. Wir saßen oft stundenlang in der Lobby und verfolgten fassungslos die Nachrichten auf dem Bildschirm. Damals fragte ich mich immer und immer wieder: „Was zum Teufel haben westliche Streitkräfte in Afghanistan zu suchen?“

„Und?!“

„B-O-D-E-N-S-C-H-Ä-T-Z-E!“

„Was du nicht sagst! Ich habe noch die Worte eines deutschen Verteidigungsministers im Ohr, der im Jahr nach dem Einmarsch behauptete, dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde. Hat der 2002 etwa gelogen?“

„Wo denkst hin! Politiker und Lügen? Nein, sie sagen die Wahrheit, immer und ausschließlich. Das Problem ist, dass jeder Mensch nur die Wahrheit sieht, die ihm gerade genehm ist. Und das machen sich erfolgreiche Politiker, die mit dem absoluten Gespür dafür was ihre Wähler gerade hören möchten, zunutze. Was glaubst du denn, welche Sicherheit er damals gemeint hat?“

„Aus heutiger Sicht wohl die Sicherheit des ungehinderten Zugriffs auf Bodenschätze, die der Westen glaubt für sich beanspruchen zu können.“

„Hätte man auch vor 20 Jahren schon sehen können, denn das System ist das gleiche wie in der guten alten Kolonialzeit. Einmarschieren, korrupte Persönlichkeiten an die Spitze des Staates befördern, sich über die Reichtümer hermachen, die geraubten Güter meistbietend auf dem Weltmarkt verhökern, einen winzige Bruchteil der Gewinne unter die oberen Zehntausend im Staat verteilen….“

 

„Schön und gut, aber da wären auch noch die demokratischen Freiheiten, die Menschenrechte, die Bildungschancen…, die der Westen dort etablieren wollte.“

„Wer, außer ein paar blauäugigen Gutmenschen, wollte das denn wirklich? Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass dort wo Freiheit und Menschenrechte etwas gelten, die Ausplünderung eines Landes schlichtweg unmöglich ist. Der Westen glaubte sich das Land in die Tasche stecken zu können, mit großzügig verteilten Demokratie- und Menschenrechtsfähnchen. Deshalb wurden die Milliarden für den Einmarsch und den Verbleib der Truppen am Hindukusch locker gemacht. Es roch einfach nach fetter Beute.“

„Milliarden, die man schließlich in den Sand gesetzt hat?“

 

„Dieses Spiel ist noch lange nicht aus. Die Karten wurden nur neu gemischt und die Anzahl der Mitspieler hat sich um einige, allen voran China, erhöht. Wem es nun als Erstem gelingt die Taliban zu korrumpieren, der bekommt am Hindukusch den Fuß wieder in die Tür.“

„Einhundert Prozent Zustimmung. Aber dieses System traktiert die einfachen Leute nicht erst seit der Kolonialzeit. Ich denke, seine Anfänge liegen einige tausend Jahre zurück, nämlich als sich Menschen als Ackerbauern niederließen. Zeit es abschaffen, bevor es uns abschafft!“