B. M. AY
„Komm rein!“ rief Horst aus der Küche. Ahmet betrat die Wohnung durch die bereits geöffnete Eingangstür.
„Nur vom Feinsten“, stellte Ahmet erfreut fest, nachdem er den mit Köstlichkeiten überladenen Küchentisch inspiziert hatte.
„Und zur Abwechslung mal wieder so richtig ungesund“, feixte Horst und platzierte die Pfanne mit den gebratenen Sucukscheiben in der Tischmitte.
„Jetzt kann ich aber wirklich nicht mehr“, stöhnte Ahmet und ließ das letzte Häppchen Brie von seinem Teller in den Mund wandern. Dann, mit Blick auf die Reste: „Hätte locker für Sechs gereicht. Was hast du dir bloß dabei gedacht?“
„Ach weißt du“, erklärte Horst. „Ich hatte mir überlegt, dass wir nochmal richtig einen drauf machen, bevor sich demnächst alles nur noch ums Sparen dreht.“
Ahmet lief puterrot an. „Sonst geht’s dir noch gut!?“ rief er. „Wenn jetzt auch noch du anfängst mit dieser Spar-Leier, kannst du gleich den Inhalt meines umgedrehten Magens vom Tisch putzen.“
„Was bitte ist denn so schlimm am Sparen?“ fragte Horst belustigt.
„Gegenfrage“, hauchte Ahmet zuckersüß. „Was hast du heute Nacht geraucht?“ Und fuhr ohne Luft zu holen fort: „Ich soll sparen? Bestimmt sagst du mir gleich noch wie und woran! Und wenn du schon am Klugscheißern bist, verrätst du mir todsicher auch, wo ich das Geld für die Nachzahlung hernehmen soll, wenn demnächst die Nebenkostenabrechnung ins Haus flattert und auch die Scheinchen für die ums x-fache erhöhten Abschläge in den Folgemonaten?!“ Beim letzten Satz überschlug sich Ahmets Stimme und draußen vor dem Küchenfenster war jedes einzelne seiner Worte zu hören.
Horst nippte betreten an seinem Mokka. Schlückchen für Schlückchen leerte er sein Tässchen, ließ sich dabei so viel Zeit als möglich.
„Du hast richtig Panik?“ fragte er schließlich vorsichtig, kurz bevor das Schweigen im Raum zu implodieren drohte.
„Du etwa nicht?“ fragte Ahmet ebenso vorsichtig zurück.
„Ganz ehrlich? Ich weiß nicht so recht, was ich halten soll von all den widersprüchlichen Nachrichten, den unterschwelligen Botschaften, Anweisung und Ratschlägen, die ständig und aus allen Richtungen auf uns einprasseln. Erst Gasumlage in Höhe von 2,4 Prozent. Dann Senkung der Mehrwertsteuer beim Gas. Energiegeld für Erwerbstätige, Tankrabatt, 9-Euro-Ticket….“
„Und, und, und“, knurrte Ahmet. „Heute hüh, morgen hott. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, das Duschen ganz einzustellen und stattdessen einmal die Woche den Waschlappen zu schwingen. Da würde ich obendrein noch Wasser sparen und auch das Geld, dass ich zwangsläufig nicht mehr ausgebe, weil ich mich nur noch einmal die Woche, nämlich an meinem Waschlappentag, unter Menschen traue.“
„Wenigstens hast du deinen Humor nicht ganz verloren“, stellte Horst erleichtert fest.
„Rein Makulatur! Innerlich ist mir nur noch nach Heulen und Kotzen…! Seit wir in Rente sind, ist unser Budget äußerst knapp genäht. Beim Gasverbrauch, also Heizen und Duschen, liegen wir schon seit Jahren am untersten Limit. Der Stromverbrauch ist etwas höher als bei vergleichbaren Rentnerhaushalten, weil meine Frau fast alles aus frischen Zutaten selbst zubereitet und auch viel backt. Dazu kommt der Strom für das Einfrieren unserer Ernte aus dem Garten. Natürlich könnten wir mehr Fertiggerichte und Konserven verzehren. Aber das würde sicher zu Lasten unserer Gesundheit gehen ….“
„Was langfristig uns allen erhebliche Kosten verursacht, mal abgesehen von dem persönlichen Leid“, unterbrach Horst.
„Jede eingesparte Kilowattstunde zählt, sagt der Wirtschaftsminister. Weiß ich seit Jahren! Und sollte ich das doch einmal vergessen, genügt ein Blick auf die jährliche Nebenkostenabrechnung. Früher habe ich Schäfchen gezählt, wenn ich nicht einschlafen konnte. Heute zähle ich Kilowattstunden? Natürlich nur um Putin zu ärgern? Bei solchen Gedanken daran wird mir doch gleich so warm, dass ich die Heizung um weitere zwei Grad runterdrehen kann!“ schnaubte Ahmet.
„Was wäre die Alternative?“ fragte Horst.
„Ich sehe keine! Gas, das es nicht gibt, kannst du halt nicht verbrauchen“, knirschte Ahmet. „Aber bei unser einem ist das Ende der Fahnenstange längst erreicht. Jetzt sind mal die mit Sparen dran, die sich die knappen und teuren Güter ohne Probleme in nahezu unbegrenzter Menge leisten könnten, weil sie das Geld dazu haben.“
„Warum sollten ausgerechnet die sich einschränken?“ fragte Horst.
„Weil es dann für alle reichen würde, und weil es denen am wenigsten weh tut. Aber auch aus reinem Egoismus, nämlich um zu verhindern, dass der Zorn derer, die schon jetzt maximal eingeschränkt leben, sie und ihr marodes Wirtschafts-System über kurz oder lang zum Teufel jagt.“