Frieden mit Gewalt?

 

B.M. AY

 „Erstmal ein Frohes Fest für dich mein Freund“, sagte Ahmet, als sich Horst am anderen Ende der Leitung meldete.

„Danke mein Lieber“, sagte Horst erfreut. „Würde ich euch auch gerne wünschen. Darf ich?“

„Und ob du darfst“, antwortete Ahmet. „Euer Jesus gilt bei uns immerhin als einer der herausragenden Propheten. Spricht also nichts dagegen, wenn auch wir seine Geburt als Festtag ansehen.“ Und kichernd fuhr er fort: „Außerdem ist für die Durchgeknallten dieser Welt jeder Tag ein Festtag – sagt jedenfalls der türkische Volksmund.“

„Wo sind wir zu unserem nächsten Montagsfrühstück?“ fragte Horst.

„Im Cafe AYDIN, in Hüseyins Bistro, oder? Entscheide du“, schlug Ahmet vor.

„Der kommende Montag ist der zweite Weihnachtfeiertag“, erwiderte Horst. „Da sind in der Innenstadt die Schotten dicht, und ob es sich für Hüseyin im Industriegebiet da lohnt auch nur den Samowar anzuwerfen, ist mehr als fraglich. Treffen wir uns also gemütlich bei mir in der Küche?“

„Klar doch. Dein Küchenfrühstück hat schon auch was.“ stimmte Ahmet zu.

Mein Küchenfrühstück hat schon auch was? dachte Horst. Na warte, dir werd ich´s zeigen!

***

„Sektfrühstück, tadaaaah!“ schmetterte Horst, als er am Montagmorgen seinem Freund den festlich gedeckten Küchentisch präsentierte.

„Worauf trinken wir?“ fragte Ahmet nachdem Horst die Sekttulpen gefüllt hatte.

„Auf ein baldiges Ende des Kriegs in der Ukraine, wenn du mich fragst“, antwortete Horst entschlossen.

„Nur dort?“ fragte Ahmet. „Weißt du eigentlich an wieviel Stellen in der Welt es gerade gefährlich brodelt und kracht?“

„Auch mit Hilfe hochpotenter, deutscher Waffenexporte“, stellte Horst trocken fest. „Viertgrößter Waffenexporteur sind wir. Lieferung in Krisengebiete geht gar nicht, tönt es aus der Politik. Und doch finden sie regelmäßig Mittel und Wege, jede Art von Waffen immer wieder genau dorthin zu liefern.“

„Ja, wohin denn sonst“, rief Ahmet. „In Friede-Freude-Eierkuchen-Ländern, die mit ihren Nachbarn in gutem Einvernehmen leben, werden wohl kaum Abermillionen an Devisen in Aufrüstung und Verteidigung investiert.“

„Logisch“, pflichtete Horst bei. „Trotzdem, wir ächten den Krieg, predigen den Frieden und liefern gleichzeitig die Waffen, die die Kriege am Laufen halten. Ja geht’s noch!“

„Also keine Waffen in Krisengebiete?“ frage Ahmet

„Genau!“ rief Horst. „Kein Krieg ohne Waffen – ohne Waffen kein Krieg!“

„Wenn ich dich recht verstehe, willst du mit Gewalt einen Frieden ohne Gewalt?“ fragte Ahmet. „Also Frieden um jeden Preis?“

„Kann denn der Preis für Frieden jemals zu hoch sein?“ fragte Horst zurück.

„Oberflächlich betrachtet sicher nicht“, antwortete Ahmet nachdenklich. „Aber die Verweigerung von Waffenlieferungen zur Verteidigung gegen einen Aggressor ist auch eine Form von Gewalt.“

„Wie bitte?“ fuhr Horst auf.

„Na, ich würde das als passive Gewalt gegen den Angegriffenen bezeichnen, wenn du ihn unbewaffnet lässt und damit schutz- und chancenlos dem Aggressor auslieferst“, erklärte Ahmet. „Da ist dann sicher ganz schnell Frieden! Frieden nach Gemetzel, Erniedrigung….und bedingungsloser Kapitulation? Was glaubst du wohl, wie lange solch ein Frieden anhält?“

Horst sah eine Weile zum Küchenfenster hinaus, das Gesicht hochrot, die Stirn in Falten. „Verdammte Sch…. aber auch!“ fluchte er.

„Genau das!“ rief Ahmet. „Ist wie ein Stock, der an beiden Enden mit Kacke beschmiert ist. Egal an welchem Ende du ihn anpackst, du greifst immer voll rein. Es gilt die freie Stelle im Bereich der Mitte zu finden und dort anzupacken, damit du eine gesunde Balance zwischen naivem Pazifismus und bloßer Kriegstreiberei erreichst.“

„In Fragen von Krieg und Frieden sind Grundsatzentscheidungen, die uns in anderen Bereichen das Leben so sehr erleichtern, also eher kontraproduktiv?“ fragte Horst.

„Genau mein Standpunkt. Krieg ist einer der Ausnahmezustände menschlicher Existenz, in dem wir von Mal zu Mal, von Tag zu Tag und manchmal vielleicht sogar in Sekundenbruchteilen immer wieder neu abwägen und entscheiden müssen, was im fraglichen Moment das Richtige sein könnte“, antwortete Ahmet.