Es reicht!!!

 

B.M. AY

 

„Montag ist Tag der Arbeit“, sagte Ahmet. „Lass uns doch nächste Woche am Dienstag zu Hüseyin gehen. Da waren wir schon lange nicht mehr“, schlug Ahmet vor.

„Gute Idee“, antwortete Horst. „Wird Zeit, dass wir mal wieder unter Menschen kommen.“

Als sie am Dienstag bei Hüseyin durch die Bistrotür gingen, gab es ein großes Hallo. Hüseyin freute sich riesig sie zu sehen. Er führte sie in die ruhigste Ecke und legte ihnen seine neue Karte auf den Tisch.

„Ich habe ein bisschen umstellen müssen“, sagte Hüseyin. „Einiges ist nicht mehr drauf. Neues ist dazu gekommen. Schaut einfach mal drüber.“

„Ist alles ziemlich viel teurer geworden“, flüsterte Horst nachdem er das Angebot grob überflogen hatte.

„Was hattest du erwartet?“ konterte Ahmet ebenso leise. „Hüseyins Bistro: Die einzige Insel der Seligen weit und breit?“ Dann hob er seine Stimme und fuhr fort: „Also ich habe hier schon einiges ausgemacht, dass ich zuhause nur sehr selten bekomme. Lass uns einfach reinhauen! Du wirst es nicht bereuen.“

Das Frühstück, das Ahmet für sich und seinen Freund von der Karte zusammengestellt hatte, schmeckte beiden vorzüglich.

„Ab jetzt geht der Tee auf`s Haus“, kündigte Hüseyin gut gelaunt an, als er den dritten Tee brachte. „Und der Abschluss-Mokka auch.“

„Irgendwie ist es hier doch wie auf der Insel der Seligen“, stellte Horst fest.

„Wenn du es schaffst, den Alltag draußen vor der Bistrotür zu lassen schon“, antwortete Ahmet verschmitzt.

„Nicht immer so einfach, wie es sich anhört“, sagte Horst.

„Einfach? Nein, ist es echt nicht!“ sagte Ahmet. „Es braucht schon eine Menge Entschlossenheit und Disziplin, um das erfolgreich durchzuziehen. Aber wenn du merkst, dass dieser Tage praktisch an jeder Hausecke ein Grübelpaket auf dich wartet, musst du dich entscheiden, ob du wirklich jedes öffnen und dein Hirn in Dauergrübelschleife malträtieren oder dir wenigstens einige Freiräume erhalten willst.“

„Und das geht so über Nacht?“ fragte Horst zweifelnd.

„Über Nacht geht garnix“, antwortete Ahmet. „Ganz im Gegenteil! Ich habe einige Wochen durchwachter Nächte gebraucht, um diesen Entschluss zu fassen und dann auch konsequent durchzuziehen.“

„Interessant!“ rief Horst. „Ich selbst sitze nachts regelmäßig in der Küche und versuche die Geister loszuwerden, die mich im Schlafzimmer belagern. Manchmal habe ich das Glück, dass sie weg sind, wenn ich ziemlich gerädert wieder ins Bett schlüpfe. Überhaupt bin ich arg platt von all den Nachrichten über Corona, Krieg, Klima, Inflation über all die Monate und Jahre. Mir reicht es auch schon lange.“

„Coronamüde, kriegsmüde, klimamüde, inflationsmüde, … krisenmüde halt“, bemerkte Ahmet trocken. „Und was glaubst du wohl, wer für all das wieder die Zeche zahlen wird!? Man hat die Bevölkerung soweit zermürbt, dass sie zu müde ist, um auch nur darüber nachzudenken, geschweige denn Proteste dagegen zu organisieren. Deshalb braucht es Räume, wo wir kühne Gedanken mutig wandern lassen können, statt Zeit mit den für uns unlösbaren Probleme zu verlieren.“

„Ich denke sehr wohl darüber nach, mitten in der Nacht, bis es mich aus dem Bett treibt“, sagte Horst. „Dann sitze ich – immerhin im Hellen – in der Küche, überlege wer die Zeche am Ende zahlen wird. Die Antwort? Immer gleich: ich, der Ahmet, der Mehmet, die Ayse, der Karl, die Marianne, die Karin… kleine Leute halt. Und was tun die Mehmets und Karins dagegen? Waren die nicht vor einigen Jahren regelmäßig auf der Straße, um ganz klar zu kommunizieren, dass sie nicht für die von den Großen verursachten Krisen aufkommen werden? Wo sind die jetzt?“

„Sie stehen Schlange vor den Kassen, von denen man sie glauben gemacht hat, dass sie dort etwas ausgezahlt bekommen“, erklärte Ahmet. „Das genaue Gegenteil ist der Fall. Sobald sie an der Reihe sind, wird man ihnen – vielleicht mit etwas Zeitverzögerung – zu verstehen geben, dass und was sie in Wahrheit einzuzahlen haben.“

„Gerecht wäre es, die Krisengewinnler zahlen zu lassen!“ schimpfte Horst.

„Wohl wahr“, sagte Ahmet ruhig und fuhr mit boshaftem Grinsen fort: „Die zetern dann aber so laut, dass sie jene zu wecken drohen, die berechtigte Existenzängste haben und dafür auf die Straße gehen müssten. Weil das die große Masse ist und keine Obrigkeit einen solchen Aufstand haben möchte, nimmt sie denen, die bis zum Hals im Futter stehen, lieber nichts weg. Das ist Politik!“