B. M. AY
„Also, die Käsecreme ist wirklich ein Gedicht“, schwärmte Ahmet zwischen zwei Bissen. „Das Rezept musst du mir unbedingt aufschreiben!“
Eine halbe Stunde später, sie hatten den Tisch bereits abgeräumt und die Mokkatassen geleert, sagte er: „So, das war`s mit dem Frühstück. Bleibt nur noch der Blick in den Kaffeesatz!“
Horst ließ ein kurzes, trockenes Lachen hören. Ahmet drehte die Mokkatassen um und betrachtete eingehend das Muster, dass der Kaffeesatz mittels Schwerkraft auf die Innenseite der Tasse gezeichnet hatte.
„Ich sehe ein Virus“, begann er nach einer Weile. „Ohne Hirn mischt es unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und das Leben jedes Einzelnen von uns immer noch gehörig auf. Andererseits sehe ich hier auch große Hoffnung heraufdämmern, die Aussicht, dass wir Corona eines Tages beherrschen werden oder wenigstens im Zaum halten können.“
„Zeig!“ rief Horst, riss dem Freund die Tasse förmlich aus der Hand und begann seinerseits das Kaffeesatz-Muster ausgiebig zu studieren.
„Also, deine Expertise in allen Ehren“, erklärte er schließlich. „Ich sehe da einen Despoten, ausgestattet mit einem recht großen Hirn. Mehr Masse als Klasse vielleicht, aber wer schaut schon hinter die Fassade? Der ist gerade dabei mit einem Vernichtungskrieg – Pardon, einer Spezialoperation – unsere gesamte westliche Weltordnung aus den Angeln zu heben. Im Osten glüht der Horizont feurig. Darüber ausgedehnte Rauchschwaden, die selbst am Tag die Sonne verdunkeln.“
„Herzlichen Dank!“ unterbrach Ahmet sarkastisch.
„Tut mir leid“, antwortete Horst beschwichtigend. „Aber seit wieder eine Katastrophenmeldung die nächste jagt, ich ständig neu einordnen muss, was jetzt wirklich schlimm ist und was getrost erst mal hinten anstehen kann…. Ich bin schlichtweg überfordert mit alledem.“
Und plötzlich das Thema wechselnd fuhr er fort: „Die Käsecreme? Das Rezept? Es gibt keins! Ich habe das Zeug zusammen gerührt während ich einen Kriegsbericht aus der Ukraine hörte. Ich krieg die Zutaten jetzt nicht mehr zusammen. Später vielleicht, wenn der Bericht über die traumatisierten Menschen etwas verblasst ist. Hätte ich nicht schon so viel Routine in der neuen Ernährung, ich hätte in Wurst- und Käsetheken einfach alles wild zusammengekauft und auf den Frühstückstisch gepackt – so wie früher.“
„Du bist ziemlich durch den Wind, was?“ forschte Ahmet. Dann zuckte er die Schultern. „Glaub nur nicht, dass es mir und meiner Familie sehr viel besser geht.“
„Da hab ich jetzt monatelang gegen meinen inneren Schweinehund angekämpft, um mich gesünder zu ernähren. Dabei hätte ich einfach warten können bis dieser Durchgeknallte der ganzen Welt eine umfassende Ernährungsumstellung aufzwingt“, stöhnte Horst.
„Die für die wenigsten Menschen auf diesem Planeten gesund sein dürfte“, unterbrach Ahmet. „Eine, die Hunderttausende das Leben kosten wird. Wie viel Luft zum Umstellen deiner Ernährung hast du denn, wenn du es tagtäglich gerade so schaffst dem Hungertod von der Schippe zu springen – mit einem Minimum an Getreide, Hülsenfrüchten und ab und an einer kleinen Portion Fett obendrauf? Auf was willst du da umstellen? Auf Nichts?! Jetzt bin ich schon genauso zynisch wie du eben. Um das alles irgendwie in ertragbaren Grenzen zu halten, rede ich es mir halt schön – wenigstens im Kaffeesatz.“
„Es ist ein unglaublicher Luxus, sich überlegen zu können was man isst, weil man sich darüber keine Gedanken machen muss“, stellte Horst fest. „Weil genug da ist? Zu erschwinglichen Preisen? Für fast jeden? Müssen wir uns jetzt verabschieden von dem Gedanken, dass keiner Not leiden muss, wenn wir nur bemüht sind, uns nicht mehr vom großen Kuchen abzuschneiden als uns nach den Gesetzen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit zusteht.“
„Hier wohl erstmal nicht“, sagte Ahmet. Ich habe gelesen, dass Europa in der Lage ist, seine Bevölkerung auch ohne Importe satt zu bekommen. Vielleicht stimmt das sogar. Aber wenn wir uns herausnehmen in Art und Menge weiter so konsumieren wie bisher und damit weniger Privilegierten nicht nur die Butter vom Brot sondern auch noch das Brot vom Teller nehmen…. Europa bleibt nicht die Insel der Seligen, auf die wir uns zurückziehen können, während im Rest der Welt der blanke Wahnsinn wütet.“