Frauenkörper als umkämpftes Territorium

Franziska STİER

Am 25. November gedenken wir überall auf der Welt den Geschwistern, die wir aufgrund patriarchaler und staatlicher Gewalt verloren haben und nicht nur Frauen, auch genderqueere Menschen sind Opfer der gleichen gewaltsamen Logik. In der Schweiz zählen wir bis heute 17 Feminizide. Wie viele es wirklich sind, wissen wir nicht.
Feminizide sind dabei die Spitze des Eisbergs patriarchaler Gewalt. Diese Frauen wurden von Männern ermordet, weil sie Frauen sind. Normierung und Kontrolle über unsere Körper beginnen viel früher, z.B. bei sexistischen Witzen in Männerrunden oder Catcalling, dem Hinterherrufen oder -pfeifen auf der Strasse.
Manche Männer finden, dass sie Frauen vor anderen Männern schützen müssen. Sie wissen schliesslich, wie Männer denken. Doch anstatt ihre Freunde zu erziehen, wollen sie lieber verhindern, dass ihre Töchter, Freundinnen oder Schwestern allein unterwegs sind. Doch das ist weder Befreiung noch feministisch. Schutz zu erzwingen ist nicht etwa das Gegenteil von patriarchaler Gewalt, sondern lediglich die Kehrseite derselben Logik. Wir wollen keine Männer, die uns vor anderen Männern schützen, sondern dass Männer nicht sexistisch und nicht gewalttätig sind. Das ist ein Unterschied.
Jede Frau und genderqueere Person mit der ich über sexualisierte Gewalt gesprochen habe, ist selbst irgendwann mal davon betroffen gewesen. Aber ich kenne fast keinen Mann, der sagt: «Ich war Täter» oder «ich war übergriffig.» Wie kann das sein?
Darum fordern wir, dass Männer über ihr Verhalten nachdenken, uns zuhören, sich reflektieren und sich gegenseitig stoppen, wenn es in Männerrunden sexistische Witze gibt. Wir wollen eine Gesellschaft, die aufhört unsere Körper zu bewerten, zu normieren und zu kontrollieren.

My Body, my choice
Kurz nach der US-Wahl publizierte der Trump-Anhänger Nick Fuentes ein Video in dem er sagt: „Your body, my choice“ Wir sehen hier die gleiche Logik, wie die der Hüda Par, die in der Türkei proklamiert, dass Frauen schon wählen dürfen: nämlich die Farbe ihrer Verhüllung. In Russland hat das Parlament kürzlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der es Frauen verbietet öffentlich über gewollte Kinderlosigkeit zu sprechen. Die Pro Life Bewegung, die Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihre Körper abspricht, arbeitet international immer wieder mit ultrakonservativen Parteien und fundamental religiösen Gruppen, um unsere Körper zu kontrollieren. Auch in der Schweiz gibt es ein Netzwerk aus „Marsch für`s Läbe“, EVP, EDU bis hin zum Schokoladen Läderach. Unter dem Vorwand Leben zu schützen, geht es in Wahrheit um die Kontrolle über weibliche bzw. gebärfähige Körper.1
Auch der Staat tötet – die patriarchale Logik des Kriegs
Auch die Staaten haben ein Interesse an unseren Körpern. Besonders jene, die Krieg führen (wollen). Sie brauchen Soldat*innen für ihre Kriege. Und während sie unsere Sozialsysteme und das Gesundheitswesen kaputtsparen, erklären sie uns, dass sie uns mit der Aufrüstung und Militarisierung schützen. Doch vor wem soll uns eine Armee, in der sexistische und patriarchale Zustände herrschen, eigentlich schützen? Vor den „fremden“ sexistischen und patriarchalen Armeen? Eine Studie der Schweizer Armee zeigte, dass 50% der befragten Soldat*innen von Diskriminierung betroffen sind, 40 Prozent haben sexualisierte Gewalt erlebt und 81 Prozent erlebten sexistische Bemerkungen und Witze im Dienst.
Es spielt im Grunde keine Rolle von welcher Armee wir sprechen, denn immer werden sie in den Krieg geschickt, um «für ihre Heimat, für ihre Lieben, für ihr Volk als Nation zu kämpfen» und das heisst am Ende: sie kämpfen für ihre Herrschaft über den Rest.
Wir Frauen und queere Menschen wissen aus kollektiver und historischer Erfahrung, was es für uns heisst, wenn Kriegslogik und Krieg herrschen. Wir wissen, dass unsere Körper ihre Trophäen sind.
Vergewaltigungen sind eine Kriegswaffe
Im Sudan haben sich Ende Oktober 130 Frauen kollektiv suizidiert, um nicht vergewaltigt zu werden. Wir sehen die Gewalt in Gaza, bei der rund 70 Prozent der Opfer Frauen und Kinder sind, die Gewalt des Hamas-Massakers am 7. Oktober, Vergewaltigungen in der Ukraine und in Rojava.
Im Oktober 2019 wurde die Politikerin Havrin Khalaf am von islamistischen Milizen brutal hingerichtet. Ihre Ermordung wurde gefilmt, ihr Leichnam geschändet.
Die mexikanische Feministin Borzacciello beschreibt die Gewalt, die tausende Frauen in Mexico Stadt erleben, auf die gleiche Weise wie diesen Mord: «Wer ein Territorium beherrschen will, muss es markieren, muss seine Grenzen ziehen. Um das zu erreichen, werden Körper benutzt. […] Heute will der Täter nicht mehr die Spuren seines Mordes verwischen. Und so wissen alle, wer die Macht in den Händen hält, wer die Angst verwaltet, wer die Entscheidungen treffen kann.»
Diese patriarchale Gewalt ist eine Machtdemonstration durch die Enteignung und moralische Plünderung unserer Körper. Sie ist eine patriarchale und zugleich faschistische Praxis. Und sie ist Alltag für Millionen Frauen, weil ihre Körper nichts anderes als eine Ressource sind, derer «Mann» sich bedienen kann.

Unsere Körper als Orte des Widerstands
Unsere Körper sind ein stets umkämpftes Territorium, weil sie als Ressource verstanden werden und zugleich sind sie unser Ort des Widerstands. Nicht nur in existenziellen Bedrohungslagen, sondern in jedem Moment, in dem wir eine Entscheidung für uns selbst treffen und in jedem Moment, den wir mit anderen in Solidarität verbringen. In jedem Moment, in dem wir Unterwerfung anderer oder der Unterwerfung von uns selbst eine Absage erteilen, wächst auch die Hoffnung auf eine andere Welt.
In dem Moment, in dem wir sagen: «Unsere Kinder kriegt ihr nicht für eure Kriege» und auch in den Momenten, in denen wir für unsere Selbstbestimmung eintreten, werden wir zu Akteur*innen auf einer patriarchalen und politischen Bühne. Unser Ziel muss Selbstbefreiung sein. Es reicht nicht darauf zu warten, dass Männer uns vor der patriarchalen Gewalt anderer Männer schützen. Und das heisst nicht, dass Männer nicht auch Verbündete sein können, aber in erster Linie müssen wir uns selbst befreien. Sonst bleibt es für uns ohne Folgen.

1 Nicht alle Menschen, die biologisch in der Lage sind zu gebären, definieren sich als Frauen.